Wie ein Ei dem anderen

Manchmal fragen mich Menschen, wie das mit meiner Kreativität funktioniert. Meist haben sie mich zuvor etwas wage nach einer Idee oder Inspiration gefragt. Nach etwas Abklopfen der Rahmenbedingungen bin ich dann in der Regel in der Lage, irgendetwas mehr oder weniger Sinnvolles auszuspucken.

Das funktioniert mit verschiedenen Themen, aber am Besten funktioniert es für mich mit Geschichten. Im Herzen bin ich einfach Geschichtenerzähler, habe mich ja auch eingehend mit den Techniken des Schreibens von Geschichten und der Entwicklung des grundlegenden Stoffes beschäftigt. Und ich habe eine Zeit lang jeden Tag mit einer Stunde Zeit den ersten Abriss für eine neue Geschichte entwickelt. Da bleibt einfach etwas hängen.

Heute kam mir die Idee, ob ich das denn eigentlich immer noch kann. Dass ich das früher konnte, kann ich ja mit einem Ordner voller Ideen belegen. Aber vielleicht habe ich es inzwischen verlernt oder bin einfach nicht mehr in Übung? Zeit mich selbst zu überprüfen.

Ausgangspunkt sind zwei Eier. Es darf mich bitte niemand fragen, warum ich gerade auf zwei Eier komme. Das ist einfach jenes Bild, das ich in diesem Moment im Kopf hatte. Vielleicht, weil ich noch genau zwei Eier im Kühlschrank habe?

Eine Geschichte lebt im Grunde immer vom Konflikt. Was kann es aber bei Eiern für einen Konflikt geben? Schließlich gleichen sie doch wie ein Ei dem anderen? Was aber, wenn dem einmal nicht mehr so wäre? Was, wenn z.B. ein Ei deutlich größer wäre als das andere?

Damit lässt sich schon mal was anfangen, trägt den Konflikt aber noch nicht weit genug. Wegen einem womöglich zu großem Ei wird noch keine interessante Geschichte daraus. Was aber, wenn das Huhn, das dieses Ei gelegt hat, einfach nur noch erheblich große Eier legt? Hier wird es schon interessanter, aber doch noch nicht besonders außergewöhnlich. Außergewöhnlich wird es, wenn alle Hühner auf dem Bauernhof erheblich größere Eier legen und auch alle neugeborenen Tiere deutlich größer werden, als ihre Artgenossen auf anderen Höfen.

Damit hat sich jetzt auch schon der Ort der Handlung eingeschlichen: ein Bauernhof. Jetzt müssen wir uns nur noch darüber klar werden, aus wessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Der Bauer oder die Bäuerin lägen vielleicht nahe, aber irgendwie sind sie zu nahe am Geschehen, um die Besonderheit hervorzuheben. Aber wir könnten einen Kniff anwenden, und die Nichte des Bauern dafür verwenden, welche eigentlich gar nicht auf dem Bauernhof, sondern in der entfernten Großstadt lebt und mit Beginn der Geschichte einfach zu Besuch kommt. Grund dafür könnte ja sein, dass sie für einige Zeit ihrem hektischen Berufsalltag als PR-Managerin entkommen muss und sich daher zu Onkel und Tante aufs Land zurückzieht.

Unser Konflikt ist aber noch nicht stark genug. Warum sind die übergroßen Supersize-Eier denn ein Problem? Wahrscheinlich, weil die Eier durch ihre Größe einfach nicht mehr in die handelsüblichen Verpackungen passen und deswegen nicht mehr von den Großhändlern abgenommen werden? Vielleicht sind sie auch für eine industrielle Restverwertung ungeeignet, weil zu teuer – denn es sind hochwertige Bio-Eier. Der Bauer hat nämlich erst vor wenigen Jahren seinen Betrieb auf eine artgerechte Hühnerhaltung umgestellt. Womöglich fühlte er sich einfach zu alt, um den konventionellen Betrieb weiter aufrecht zu erhalten – seine eigenen Kinder wollten lieber im Büro arbeiten, als auf dem Feld oder mit Nutzvieh. Da hat er sich einfach dazu entschlossen, die Landwirtschaft soweit aufzugeben. Aus sentimentalen Gründen hält er sich jetzt aber halt noch Hühner. Da haben seine Frau und er wenigstens noch ein bisschen was zu tun. Die Hühner haben auf dem nun leeren Hof ja jetzt auch jede Menge Platz.

Wenn aber keiner die Eier oder die Hühner mehr kaufen will, ist diese Arbeit aber auch unwirtschaftlich – nur alleine der Hofladen reicht dann ja auch nicht. Also grübelt der Bauer darüber nach, das mit den Hühnern auch bleiben zu lassen. Aber seiner Frau gefällt der Gedanken nicht.

Die liebe Nichte will ihrer Tante da zur Seite springen. Wozu ist sie denn PR- und Marketing-Fachfrau, wenn sie Super-Bio-Eier und Hühner nicht im großen Stil verkauft bekommt? Eine gute Dosis menschlicher Hybris kann gut für Spannung sorgen. Hier kann sie sich also eine Medien-Kampagne überlegen oder mit Sterne-Köchen eine Allianz für besseres Essen schmieden.

Durch die gesamten Aktivitäten können sich aber auch herrliche neue Konflikte entspinnen. Nicht jedem gefällt es, wenn ein Bauer mit übergroßen Hühnereiern in der Zeitung steht. Zum Beispiel dann nicht, wenn die eigenen Hühner günstigenfalls Eier normaler Größe legen.

Ein übereifriger Veterinär-Beamter könnte an dieser Situation auch so seine Zweifel haben und es als Möglichkeit sehen, seinen unbändigen Arbeitswillen unter Beweis zu stellen, was sich dann ja vielleicht positiv auf die Karriere auswirkt?

Natürlich darf auch die persönliche Geschichte unserer Protagonistin nicht vergessen werden. Was hat sie in die aktuelle Situation gebracht? Hatte sie vielleicht Zweifel an ihrem Beruf? Sucht (und findet) sie vielleicht die große Liebe oder hat über ihren Beruf nur verlernt, in einer freundschaftlichen Art mit anderen Menschen umzugehen? Was nimmt sie aus der ganzen Geschichte sonst noch für ihr Leben mit? Tatsächlich interessieren sich Leser oder Zuschauer doch für die Geschichten über andere Leute, um sich vielleicht mit ihnen identifizieren zu können. Die Ereignisse um die Charaktere herum, sind nur das Vehikel, das diese Geschichte auf interessante Art zu transportieren hat.

Die Geschichte hat jetzt schon einmal einen ersten Rahmen. Natürlich müsste man jetzt tiefer in die Recherche zu den ganzen Sachverhalten einsteigen und sich auch Lebensläufe für die verschiedenen Charakter überlegen. Und man muss auch die Entscheidung treffen, in welcher Art und mit welchem Umfang diese Geschichte zu erzählen ist. Vielleicht hat hier ja jemand ein paar Euro auf der Seite liegen, um mich konkret mit der Ausarbeitung zu beauftragen 😉

Für einige Minuten kreativer Arbeit bin ich mit dem Ergebnis aber ganz zufrieden. Geschichten entwickeln klappt also noch. Und vielleicht ist das ja für den Leser dieser Zeilen auch Anregung, sich selbst eigene Geschichten auszudenken. Mich würde das freuen.